Glauben spüren, Weite wagen

Beste Geschichte meines Lebens


- Klasse 9d schreibt Kurzgeschichte um -

Im Deutschunterricht der Klasse 9d durften die Schülerinnen und Schüler kreativ werden. Nach der Lektüre der Kurzgeschichte „Beste Geschichte meines Lebens“ von Wolfdietrich Schnurre (1978) entstanden die folgenden Texte von Leandra Burke, Luca Linschmann und Maja Eckholt, die den Ausgangstext umgeschrieben bzw. ergänzt haben und damit zum Nachdenken anregen.

Die beste Geschichte meines Lebens

Ich lag in meinem Bett, starrte in die Luft, etwas anderes konnte ich schließlich auch nicht machen mit meiner Krankheit, mich nicht bewegen, nicht alleine essen, einfach nichts! Bei allem brauchte ich die Hilfe von den Schwestern. Meine Frau war schon vor Jahren verstorben und meine Kinder waren irgendwo im Ausland und kümmerten sich nicht mehr um ihren alten und kranken Papa. So musste ich tagein tagaus hier alleine im düsteren Krankenhaus liegen. Nicht einmal einen Platz am Fenster hatte ich. Dabei wäre das doch mein einziger Wunsch, den ich in meinen letzten Tagen noch hätte, die Welt da draußen zu sehen, die Hoffnung, all das Glück da draußen. Das wäre ein kleiner Lichtblick hier in diesem winzig kleinen und dunklen Raum, der mir manchmal vorkommt wie ein ewiges Gefängnis, in dem ich gefangen bin. Mein Zimmernachbar, der den wundervollen Fensterplatz hatte, an dem ich auch so gerne liegen würde, erzählte mir immer, was da draußen so los ist, um mich aufzumuntern. So auch heute. Er erzählte mir, wie schön es mit anzusehen war, wie die kleinen Kinder da unten Spaß hatten und durch den Park tollten, auf Bäume kletterten, die tollsten und schönsten Sandburgen auf dem Spielplatz bauten und für die Eltern Sandkuchen backten und wie schön ihnen die Sonne ins Gesicht schien. Das pure Glück eben. Wie gerne würde ich mir auch endlich mal wieder die Sonne ins Gesicht scheinen lassen und ihre wundervolle Wärme spüren. Aber ich war ja leider ans Bett gefesselt. Es ist einfach nicht dasselbe, von jemandem zu erzählt zu bekommen, was das Leben um einen herum so macht! Jeder Tag ist eine einzige Qual!
Ein neuer Tag, wieder der gleiche Ablauf, mein Zimmergenosse erzählte mir wieder von den Geschehnissen draußen und vom wunderschönen Naturschauspiel. Doch heute war es etwas anders, mein Zimmergenosse wirkte etwas träge und nicht so motiviert wie sonst. Wenig später bekam ich auch schon meine Antwort, mitten in seiner Erzählung stockte er auf einmal und griff sich an den Hals und stöhnte auf. Ich war wie gelähmt, er hatte einen Erstickungsanfall! Ich hatte schon den Pieper in der Hand, um die Schwestern zu Hilfe zu rufen, da fiel mir ein, was die Schwester vor ein paar Tagen zu mir gesagt hatte: „Wenn der Herr neben dir in ein anderes Krankenhaus verlegt werden würde, könntest du den Fensterplatz bekommen, aber seine Familie hat leider nicht genug Geld dafür, es tut mir leid.“ Aber was, wenn er nicht mehr wäre, würde ich dann den schönen Fensterplatz bekommen? Würde mein letzter Wunsch dann in Erfüllung gehen? Ich war hin und hergerissen, was ich tun sollte, sollte ich ein Menschenleben opfern, um mein Glück zu finden? Andererseits hatte ich selbst nicht mehr lange zu leben, und ich wollte unbedingt noch einmal das Leben draußen sehen, mich frei fühlen und nicht meine letzten Tage hier in Dunkelheit und voller Trauer darauf, dass ich die Natur nie wiedersehen würde, verbringen. Also legte ich den Pieper zurück. Mein Zimmergenosse starrte mich so entgeistert an, dass ich einfach die Augen schloss, um nicht mit ansehen zu müssen, wie er starb. Eine kurze Zeit lang hörte ich noch Gestöhne, doch es wurde immer leiser, bis es schließlich ganz verstummte. Ich wagte einen Blick auf ihn, in seinen Augen sah ich die Leere und Entgeisterung darüber, dass ich ihm nicht geholfen hatte. Mir wurde bewusst, was das bedeutet: Er war tot, er hatte die Erde verlassen. Doch ich wusste auch, was das für mich bedeuten würde, ich würde meine restlichen Tage am Fenster verbringen! Ich würde das Glück wieder spüren können! Ich nahm den Pieper zur Hand, tat so, als ob mein Zimmergenosse noch leben würde und rief mit panikerfüllter Stimme, dass ich Hilfe bräuchte, weil mein Zimmergenosse einen Erstickungsanfall hätte, ich wollte schließlich nicht, dass man mir noch seinen Tod in die Schuhe schieben würde. Als die Schwester kam und den toten Herrn verzweifelt ansah, sagte sie zu mir, wie leid es ihr tat, dass ich meinen einzigen Freund verloren hatte, und ob ich als kleinen Lichtblick dann seinen Fensterplatz haben wolle. Auf meinem Gesicht erstreckte sich ein kleines Lächeln. Die anderen Schwestern trugen die Leiche des Mannes weg, der mir einst die schönsten Dinge über das Leben draußen erzählt hatte. Ich wusste, wenn ich morgen aufwachen würde, würden die Schwestern mich mit samt meinem Bett ans Fenster schieben. Ich schlief mit diesem schönen Gedanken ein. Am nächsten Morgen spürte ich ein kleines Ruckeln an meinem Bett, es war so weit! Mein letzter und einziger Wunsch würde in Erfüllung gehen! Ich konnte es kaum abwarten. Wir waren angekommen! Ich wagte einen Blick. Doch plötzlich wich mir alle Farbe aus dem Gesicht, alles, was ich sah, war eine Mauer, dunkler als die Nacht!

Luca Linschmann



Die beste Geschichte meines Lebens                   

Hier im Krankenhaus in Frankfurt liegen zur Zeit sehr viele schwerkranke Menschen. Die meisten teilen sich ein Zimmer. So war es auch bei mir und meinem Zimmergenossen Paul. Leider hat er den Fensterplatz erwischt, weil er schon etwas länger als ich hier liegt. Ich kann also nichts anderes machen als in die Luft starren und Däumchen drehen, weil ich durch die Chemotherapie so abgebaut habe, dass ich kaum noch zwei Schritte laufen kann, geschweige denn zum Fenster gehen und in die schöne Welt dort draußen hinausblicken. 

In den letzten Wochen habe ich also nichts außer diesem Zimmer gesehen. Der Mann neben mir erzählt mir immer von dem Wetter, der Sonne, den Menschen und Kindern, die fröhlich auf der Straße miteinander spielen. Er denkt wohl, mich würde das aufmuntern. Wenn ich es schon nicht einmal mehr mit eigenen Augen sehen könnte, dass ich wenigstens Geschichten darüber höre. Doch leider irrt er sich damit. Von der Welt dort draußen zu hören deprimiert mich sehr, ich weiß ja nicht einmal, ob ich jemals wieder die schönen Städte, das Meer, die Natur sehen werde. Früher bin ich für mein Leben gern gereist, und jetzt, mit erst 45 Jahren, kann ich vielleicht nie wieder all die schönen Orte auf dieser Welt besuchen? Die Ärzte haben kaum noch Hoffnung, dass ich wieder gesund werde, der Krebs wird immer schlimmer, sagen sie.

Um Paul steht es allerdings auch nicht gut, er ist schon sehr alt und kann sich so gut wie gar nicht mehr bewegen.

Heute Abend kann ich erstaunlicher Weise sofort einschlafen, doch leider nicht lange. Etwa um Mitternacht bin ich wegen sehr komischer Geräusche aufgewacht und als ich zu meinem Zimmergenossen blicke, schrecke ich auf und bin mit einem Schlag hellwach. Pauls Gesicht ist knallrot und mit den Händen fasst er sich um seinen Hals. Er ringt verzweifelt nach Luft. Er erleidet einen Erstickungsanfall, also will ich natürlich sofort auf den roten Alarmknopf drücken, damit die Ärzte ihm helfen können. Doch als mein Daumen schon über dem Knopf ist und ich ihn gerade drücken will, zögere ich, denn mir kommt ein Gedanke. Würde der Mann sterben, wäre der Fensterplatz frei und ich könnte endlich wieder die Welt dort draußen sehen. Paul hat durch seine Krankheit und sein hohes Alter eh nicht mehr lange zu leben. Es würde keinem auffallen, dass ich ihm nicht geholfen habe. Ich habe immerhin geschlafen und muss nicht unbedingt aufgewacht sein. Aber ist es richtig, ihn einfach so sterben zu lassen? Wir sind zwar nicht befreundet und ich rede auch kaum mit ihm, weil ich einfach nicht weiß worüber, aber immerhin leben wir hier jetzt seit einigen Wochen zusammen. Andererseits, wenn ich noch länger nur diesen trüben, grauen Raum sehe, habe ich irgendwann gar keine Motivation mehr aufs Leben. Sie ist ja jetzt schon kaum noch vorhanden. Ich muss jetzt mal an mich denken. Ich drücke den Knopf nicht.

Nach einiger Zeit macht Paul keine komischen Geräusche mehr. Ob er tot ist? Oder einfach eingeschlafen, weil er wieder Luft bekommen hat? Ich weiß es nicht. Irgendwann schlafe ich dann wieder ein, und als ich am nächsten Morgen aufwache, sind mehrere Ärzte und Krankenschwestern in meinem Zimmer. Paul ist tot. Er wird von den Helfern zugedeckt und weggetragen. Nun bin ich allein, aber ich freue mich schon auf den Fensterplatz. Als gegen Mittag die Ärzte wiederkommen, um mich zu versorgen, bitte ich um den Fensterplatz, erfolgreich. Eine Stunde später liege ich nun in dem anderen Bett, hab meine Augen noch geschlossen, um den Moment noch besonderer zu machen. Als keine anderen Menschen mehr in dem Zimmer sind, öffne ich gespannt und voller Vorfreude die Augen. Doch dann ist da nichts. Nichts, nur eine Mauer. Ich blinzele und kneife mir in den Arm, um sicher zu gehen, dass ich wirklich wach bin. Doch das bin ich. Ich bin entsetzt, enttäuscht, wütend. Das kann doch nicht wahr sein. Mein Nachbar hat mir also die ganze Zeit nur Geschichten erzählt, um mir Freude zu bereiten. Er wollte mich aufmuntern und dafür sorgen, dass meine Stimmung sich besserte. Und was habe ich im Gegenzug gemacht? Ihn sterben lassen! Er ist tot! Meinetwegen! Ich habe ihm nicht geholfen, weil ich so egoistisch war und nur an mich gedacht habe. Mein Gott, ich fühle mich so unfassbar schlecht. Panik steigt in mir auf. Wie soll ich das nur verarbeiten? Ich weiß es nicht.

In den nächsten Tagen habe ich so gut wie nichts gegessen, nicht geredet und nicht geschlafen, weil ich so ein schlechtes Gewissen habe. Doch am nächsten Morgen bringen die Ärzte mir einen neuen Zimmergenossen. Er ist deutlich jünger als ich, ich kann sehen, dass er traurig ist. In diesem Moment weiß ich, was ich tun muss. Um den Tod von Paul wenigstens ein bisschen wiedergutzumachen, erzähle ich dem jungen Mann ebenfalls Geschichten von draußen. Ich hoffe, es deprimiert ihn nicht noch mehr, so wie es bei mir der Fall war. Doch er scheint ein positiver, eigentlich glücklicher Mensch zu sein. Also erzähle ich und erzähle und erzähle. Ich erfinde lustige Geschichten, über die wir beide lachen müssen. Wir kommen gut miteinander klar und wir reden viel. Und nach langer Zeit fühle ich mich wieder ein bisschen besser, auch wenn ich noch lange nicht über den Tod von meinem alten Zimmergenossen hinweg bin.

Leandra Burke



Beste Geschichte meines Lebens

Sieben Monate war es her, dass bei ihm eine seltene Krankheit festgestellt worden war. Di-agnose: unheilbar. Sechs Monate lang lag er nun schon an die Decke starrend im unbeque-men Krankenhaus Bett. Tag täglich erwartete ihn derselbe monotone Ablauf: Jeden Morgen wachte er auf und wartete auf die Pfleger, die hin und wieder kamen, um nach dem Rechten zu schauen. Seine einzige Kontaktperson war sein Zimmergenosse, den er nicht einmal rich-tig leiden konnte. Ununterbrochen erzählte dieser von der Aussicht, die das Bett am Fenster mit sich brachte. Im kleinsten Detail konnte er stundenlang vom Park gegenüber, von den Vögeln am Himmel und den prachtvollen Bäumen entlang des Gehweges erzählen. Er be-schrieb die Welt, die der andere seit Ewigkeiten nur durch den kleinen Fernseher des sparta-nisch eingerichteten Zimmers gesehen hatte. Er sehnte sich nach der Zeit, in der er sorglos durch den Park oder ins Schwimmbad gehen konnte. Oft schon hatte er seinen Mitbewohner aus Sehnsucht gebeten, Betten zu tauschen. Dieser lehnte den Tausch jedoch jedes Mal aufs Neue ab, wodurch der Neid auf seinen Zimmergenossen im anderen stetig weiterwuchs.
So kam es in einer schicksalhaften Nacht dazu, dass er durch laute Geräusche zu seiner Rechten, aufwachte und sich verwirrt umsah, in der Absicht, die Quelle des Geräusches aus-findig zu machen. Panik machte sich in ihm breit, als er seinen Zimmergenossen nach Luft schnappend vorfand. Er wusste genau, würde er seinem Nachbarn jetzt nicht helfen, würde es keiner tun. Bereit Hilfe zu rufen, dachte er an den Fensterplatz. Er dachte an die Welt, nach der er sich so sehr sehnte, als ihn die Gier packte und ihn noch tiefer in das ohnehin schon unbequeme Bett sinken ließ. Augenblicklich glätteten sich seine zuvor angespannten Gesichtszüge und die Panik verflog. In die Tiefe starrend lauschte er dem Röcheln seines Mitbewohners, bis es schließlich verstummte. Totenstille. Die Stille wurde immer lauter, die Dunkelheit noch bedrückender und die Zeit fror ein. Als er begann, seine Tat zu realisieren, war es bereits zu spät.
Während am nächsten Morgen der Tote aus dem Zimmer geschoben wurde, versuchte er sein Gewissen so gut wie möglich zu verdrängen und redete sich immer wieder ein, dass er keine andere Wahl hatte. Die Sorgen waren schnell in die hinterste Ecke seines Verstandes verbannt und er war bereit, seine Belohnung für die schreckliche Tat entgegen zu nehmen. Angespannt und nervös horchte er den Gesprächen der Ärzte, die wie jeden Tag dabei wa-ren, seine Werte zu kontrollieren. Die Ärzte schoben ihn auf seinen Wunsch hin samt Bett ans Fenster und sahen dabei zu, wie der sterbenskranke voller Hoffnung, im Glauben den Park, die Vögel und die Bäume zu erblicken, hinaussah. Sie sahen dabei zu, wie seine gieri-gen Blicke von rauen, dreckigen Ziegelsteinen begrüßt wurden. Kein Park. Keine Vögel. Und erst recht keine Bäume. Auf der Stelle verschwand das einst begierige Lächeln, welches vor wenigen Sekunden noch sein nun erblasstes Gesicht zierte. Entsetzt vom Anblick, rieb er sich mehrfach die Augen, nur um beim wieder Öffnen ein weiteres Mal lediglich die kalte Mauer zu Gesicht zu bekommen.

Maja Eckholt