Glauben spüren, Weite wagen

Herausfordernde „Spaziergänge“


- Liebfrauenschüler vom 30.5. - 6.6. in Ostböhmen -

„Eine unglaubliche Gastfreundlichkeit!“ – „Und alles so lecker und so frisch aus dem eigenen Garten!“ – „Kuchen zum Frühstück! Und immer wieder wandern, wandern, wandern! Darin sind sie viel fitter als wir.“ So beschreiben die 23 Schülerinnen und Schüler der Liebfrauenschule Cloppenburg ihre Eindrücke, die sie während ihres Besuchs in Dvůr Králové gewonnen haben. Die Neunt- und Zehntklässler besuchten im Rahmen eines Schüleraustausches, der seit der Jahrtausendwende alle zwei Jahre durchgeführt wird, in Begleitung von Herrn Fröhle und Herrn Suttrup vom 30. Mai bis zum 6. Juni das Gymnasium in der ostböhmischen Kleinstadt.

Im Zentrum des Schüleraustausches, der in diesem Jahr zum neunten Mal stattfindet, steht die persönliche Begegnung der tschechischen und deutschen Schüler. Beim diesjährigen Besuch in Dvůr Králové wurden die Cloppenburger Schüler in vielfacher Hinsicht zu bewegenden Spaziergängen herausgefordert, nicht zuletzt auf den Spuren sudetendeutscher Familien.

Nach relativ unproblematischer Zugfahrt über Osnabrück, Hannover, Berlin, Cottbus, Zittau und Liberec wurden die Liebfrauenschüler am frühen Abend ausgesprochen freundlich mit einem „Herzlich willkommen“-Transparent auf dem Bahnhof in Dvůr empfangen. Die Jugendlichen, die im Vorfeld bereits Steckbriefe ausgetauscht und im regen E-Mail-Kontakt miteinander gestanden hatten, freuten sich sichtlich, sich endlich auch persönlich gegenüberzustehen. Die Cloppenburger waren während der gesamten Woche in den Gastfamilien ihrer Austauschpartner untergebracht.

Während am Gymnasium in Dvůr noch die letzten mündlichen Abiturprüfungen abgenommen wurden, stand gleich am ersten Tag für die Austauschschüler eine Besichtigung des Klosters in Broumov mit Kirche, Bibliothek und Refektorium an. Am meisten beeindruckte dabei die Begegnung mit 15 Mumien, auf die die Gruppe in den Kellergewölben stieß. Nachdenklich machte insbesondere, dass das Kloster in der kommunistischen Ära zu einem Internierungsort für Ordensleute zweckentfremdet wurde. Nach einem Kurzbesuch auf einer besonders liebevoll und nebenberuflich geführten Tierfarm wurden die Liebfrauenschüler während eines ausgedehnten „Spaziergangs“ in den Braunauer Felsen (broumovske stény) endlich auch körperlich herausgefordert. Viele schöne Aussichtspunkte eröffneten ihnen dabei einen wohltuenden Blick auf die gefällige Hügellandschaft nahe des Riesen- und des Adlergebirges.

Am 2. Tag begrüßte der Schulleiter, Herr Dr. Dr. Minař, die Gruppe aus Cloppenburg, bevor dann ein Schüler aus Dvůr die Gäste durch seine Schule führte. Im Anschluss wurden die Cloppenburger im Ratssaal vom Bürgermeister der Stadt, Herrn Jan Jarolim, sehr freundlich empfangen. Beim anschließenden Besuch einer Weihnachtsschmuck-Manufaktur bekamen die Liebfrauenschüler einen Einblick in die Arbeitswelt und –bedingungen der Menschen in Dvůr. Nicht wenige nutzten die Gelegenheit, die handbemalten Produkte als Präsente für zu Hause zu erwerben – Weihnachtsfeeling bei 31°C im Schatten! Nachmittags ging es im offenen Bus auf Safari-Tour durch den am Stadtrand gelegenen Zoo, einem der größten und beliebtesten in ganz Tschechien.

Der 3. Tag stand ganz im Zeichen der Metropole Prag. Mit Hilfe eines eigens vom Geschichtslehrer Reikert erstellten Stadtführers erkundeten die Südoldenburger zusammen mit ihren Gastgebern einige zentrale Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt, wie z.B. den Hradschin (Burgviertel) mit Veitsdom, Nikolai- und Georgskirchs sowie die Karlsbrücke. Mit Blick in den Garten der deutschen Botschaft im Lobkowitz-Palais erinnerte Herr Suttrup an die historischen Ereignisse im Spätsommer des Jahres 1989, an die bis zu 4500 DDR-Bürger, die das Gelände wochenlang besetzten, um ihre Ausreise in die Bundesrepublik zu erwirken, und an die für sie erlösenden Worte des damaligen Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher am 30. September, dass sie in die BRD ausreisen dürften. Den Tagesabschluss bildete eine Bootstour auf der Moldau, auf der Tschechen und Deutsche wie unzählig viele Prager und Touristen gleichermaßen das hochsommerliche Wetter genossen.

Den 4. Tag, den Sonntag, verbrachten die Schülerinnen und Schüler in und mit ihren Gastfamilien. Fahrradtouren und Ausflüge in die nähere Umgebung, z.B. nach Hradec Králové oder bis nach Polen, oder ein Besuch im örtlichen Freibad boten gute Gelegenheiten, miteinander ins Gespräch zu kommen und die entstandene Freundschaft zu festigen.

Am 5. Tag war dann die körperliche Fitness gefragt, denn es stand eine Wanderung auf den Gipfel der 1603 Meter hohen Schneekoppe auf dem Programm ‒ für die Tschechen laut Programm nur ein „Spaziergang“, da für den Aufstieg ‒ mit Rücksicht auf die weniger geübten Deutschen ‒ bis zur Hälfte eine Gondelbahn genutzt wurde. Auf der Rückfahrt genossen die deutschen Gäste einen Foto-Stopp an der barocken Schloss- und Hospitalanlage in Kuks.

Zum Höhepunkt der Austauschbegegnung entwickelte sich am 6. Tag die Zeitreise in die Geschichte der sudetendeutschen Bevölkerung zwischen Dvůr (Königinnenhof) und Trutnov (Trautenau). Zum Auftakt des Projekttages präsentierten die Gastgeber dazu einen Film, der von der Familie Kazmirowski in Bild und Ton eigens für die Austauschbegegnung produziert worden war und in deutscher Sprache mit tschechischen Untertiteln gezeigt wurde. Nach diesem notwendigen Einblick in die geschichtlichen Zusammenhänge, um Flucht und Vertreibung der Sudetendeutschen einordnen zu können, steuerten die Schüler auf einer Tageswanderung verschiedene Stationen im Leben der Sudetendeutschen von 1930 bis 1946 an: ehemalige Wohnhäuser, Gaststuben, Kirchen und Kapellen, die teilweise in den letzten zwanzig Jahren in Kooperation zwischen Tschechen und Deutschen liebevoll restauriert worden sind. Mittels eigens vorbereiteter Lebensschilderungen und Audio-Aufzeichnungen von noch lebenden Sudetendeutschen erhielten die Schülerinnen und Schüler auf bewegende Weise Einblick in die damaligen Lebensverhältnisse der Sudetendeutschen und in die schicksalhaften Umbrüche in ihren Biografien infolge der Okkupation durch die deutschen Nationalsozialisten und erneut nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Insbesondere die persönlichen Schilderungen zu Enteignung, Vertreibung und Flucht einzelner Familien gingen den Jugendlichen in ihrer Eindringlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut, sodass die Wanderung am Schlusstag sie nicht nur körperlich, sondern auch geistig-seelisch herausforderte. Der eindrucksvolle Tag und die erlebnisreiche Woche wurden mit einem Grillabend in freier Natur abgeschlossen; hier wurde mehr als deutlich, welche Freude die jungen Tschechen und die Liebfrauenschüler an der Austauschbegegnung hatten.

Der Abschied am nächsten Morgen fiel darum allen sehr schwer. Tröstlich war nur das Wissen um ein baldiges Wiedersehen beim Gegenbesuch der Tschechen in Cloppenburg im September. Die überwältigende Gastfreundschaft der tschechischen Familien und die in vielfacher Hinsicht herausfordernden „Spaziergänge“ in und um Dvůr Králové sind für alle Beteiligten Motivation genug, ein ebenso bewegendes Programm für den Gegenbesuch der tschechischen Gäste zusammenzustellen.